Das Konjunktionspaar und/oder
Kürzlich erreichte mich ein Anruf einer Kollegin (auch Übersetzerin), die dringend nach einer Lösung für ein grammatikalisches Problem suchte. Anscheinend hatte ihr auch die Duden-Sprachberatung nicht helfen können. Insofern ehrt es mich, dass sie sich, quasi als “Letztinstanz”, an mich wandte. Nur leider kann auch ich keine eindeutige Antwort geben, nur einen Vorschlag zur Güte.
Das Problem dreht sich um das Konjunktionspaar und/oder. Wenn dieses Paar zum Einsatz kommt, ist im Satz gemeint, dass entweder einer der beiden Sachverhalte eintritt oder eben beide. Die Frage ist, ob dann das Verb im Singular oder im Plural stehen muss, weil und nach dem Plural verlangt, oder aber nach dem Singular. Hier der Satz:
Bei Bedarf stellt das Krankenhaus und/oder der Prüfarzt Kopien des Befundes zur Verfügung.
Oder muss es folgendermaßen heißen?
Bei Bedarf stellen das Krankenhaus und/oder der Prüfarzt Kopien des Befundes zur Verfügung.
In keinem der Duden-Bände finde ich einen Hinweis, wie mit diesem Zweifelsfall umzugehen ist. Vorschläge sehr willkommen (bitte auch mit Begründung)!
Mein Vorschlag zur Güte, wenn auch nicht sonderlich elegant, ist folgender:
Bei Bedarf stellen/stellt das Krankenhaus und/oder der Prüfarzt Kopien des Befundes zur Verfügung.
Ich habe deshalb stellen (also den Plural) vorangestellt, weil ja auch die Konjunktion und zuerst angeführt wird und sie nach dem Plural verlangt.
Hallo,
also aus “technischer Sicht” würde ich für den Plural plädieren.
Warum? Man wählt Singular/Plural entsprechend dem Normalfall, d.h. welcher Fall in der Regel aller Fälle “durchlaufen wird” bzw. “greift”.
Wenn in der Regel aller Fälle Krankenhaus UND Arzt Befunde zur Verfügung stellt
–> beide –> Plural
Wenn in der Regel aller Fälle entweder Krankenhaus ODER Arzt Befunde zur Verfügung stellt
–> nur einer –> Singular
Ich habe leider keinerlei Quellen, die diese Handhabe bestätigen. Analog: in der Programmierung bzw. Software-Engineering geht man auch so vor, dass man den Programmablauf so gestaltet, dass im “Normalbetrieb” keine unnötigen Überprüfungen gemacht werden…
Freundliche Grüße
Der Techniker
Wirklich knifflig. Der Vorschlag “Bei Bedarf stellen/stellt das Krankenhaus und/oder der Prüfarzt Kopien des Befundes zur Verfügung.” ist natürlich korrekt, man ist damit auf der sicheren Seite. Allerdings liest sich diese Konstruktion für meinen Geschmack nicht flüssig genug.
Da es sich wohl um kein ausschließendes “oder” handelt, würde ich auch für die Plural-Variante plädieren, also: “Bei Bedarf stellen das Krankenhaus und/oder der Prüfarzt Kopien des Befundes zur Verfügung.” Ich glaube, das geht auch mit der Erklärung des “Technikers” konform.
Meines Erachtens ist das “und” in der oben genannten Kombination überflüssig, da die Konjunktion “oder” sowohl einschließende als auch ausschließende Bedeutung haben kann. Der Unterschied findet darin seinen Niederschlag, dass das Verb entweder im Singular oder im Plural steht.
Dementsprechend bedeutet
“Bei Bedarf stellen das Krankenhaus oder der Prüfarzt Kopien des
Befundes zur Verfügung.”,
dass es dem Patienten freigestellt ist, wo er sich seine Befundkopien abholt. Anders würde
“Bei Bedarf stellt das Krankenhaus oder der Prüfarzt Kopien des
Befundes zur Verfügung.”
bedeuten, dass (situationsabhängig) entweder das Krankenhaus oder der Arzt die Kopien aushändigt. Um beide Varianten wie gewünscht in einem Satz zu erfassen, müsste dieser lauten:
“Bei Bedarf stellen/stellt das Krankenhaus oder der Prüfarzt Kopien des
Befundes zur Verfügung.”
Soweit die Theorie. Da jedoch allem Anschein nach die Unterscheidung von einschließendem und ausschließendem “oder” anhand von Singular oder Plural beim Verb stark auf Regelkenntnis und weniger auf intuitiven Sprachgebrauch gründet, dürfte die vorgeschlagene Variante kaum die vom Schreiber gewünschte Intention vermitteln. Man steht also vor dem Dilemma, entweder durch die Kombination “und/oder” Redundanz zu erzeugen oder vom Adressaten nicht verstanden zu werden.
Vielleicht lässt sich diese missliche Lage wenigstens zum Teil dadurch beheben, indem man den Satz so umformuliert, dass “Krankenhaus” und “Prüfarzt” nicht mehr im Subjekt stehen und sich folglich die Frage nach dem Numerus des finiten Verbs nicht mehr stellt (Das häufig als unschön empfundene Passiv ist meines Erachtens in diesem Fall vertretbar). So liegt es nun beim Leser, zu entscheiden, ob er das “oder” als einschließend oder ausschließend verstehen möchte (was ihm aufgrund der Kenntnis der Situation kaum große Probleme bereiten dürfte), vgl.:
“Bei Bedarf können Kopien des Befundes vom Krankenhaus oder vom Prüfarzt
zur Verfügung gestellt werden.”
Die Angaben zum einschließenden und ausschließenden “oder” fußen auf den Angaben aus DUDEN. Richtiges und gutes Deutsch (Band 9), Eintrag “Kongruenz”, Unterpunkt 1.3.12.
Man sollte und/oder überhaupt nicht verwenden, weil “oder” auch inklusiv verwendet werden kann.