Zum Frauentag: die Unsichtbarkeit von Frauen in der Sprache

Seit einiger Zeit befasse ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit dem Verhältnis zwischen Sprache und Geschlecht. Die feministische Linguistik sieht Sprache als eines von vielen Mitteln der androzentrisch-patriarchalischen Gesellschaft, um Frauen zu benachteiligen oder unsichtbar zu machen. Unter anderem kommt dies durch die Verwendung des so genannten generischen Maskulinums zum Ausdruck, will heißen: Bei personenbezogenen Substantiven gilt die männliche Form als Standard, zu dem sich auch Frauen zu zählen haben. Ein Lehrer kann also genauso gut eine Lehrerin sein, aber umgekehrt – Gott bewahre! Schließlich ist, wie es nicht nur Simone de Beauvoir recht treffend beschrieben hat, der Mann der Standard und die Frau eben das andere. Als eigenständiges Wesen wurde die Frau über die Jahrhunderte nicht einmal mitgedacht, was eindrucksvoll durch das Studium älterer Gesetzestexte, allerdings bis hinauf ins 19. und 20. Jahrhundert, zum Ausdruck kommt. Dass Frauen kein Recht auf Eigentum (nicht mal ihre eigene Mitgift), keine Menschen- und Bürgerrechte geschweige denn das Recht auf höhere Bildung hatten, galt jahrhundertelang als “Naturrecht”.

Wem es noch nicht aufgefallen ist: In diesem Blog verwende ich personenbezogene Substantive, besonders im Plural, ausschließlich in der weiblichen Form (das generische Femininum), ganz in der Tradition von Luise Pusch. Interessanterweise stößt die Sichtbarmachung von Frauen ausgerechnet bei Frauen oft auf radikale Ablehnung, während ihr Männer oft entspannt gegenüberstehen. Wenn, wie viele behaupten, das männliche Substantiv tatsächlich auch das weibliche umfassen sollte (was schon logisch Unsinn ist), müsste der folgende Satz grammatikalisch korrekt sein: * Jeder Lehrer bringt ihre eigene Kreide mit.

Ich kann mir gut vorstellen, dass viele einen Kommentar zu diesen Ausführungen posten möchten, weshalb ich gleich mal um Sachlichkeit ersuchen möchte. In diesem Sinne wünsche ich allen Angehörigen der größten benachteiligten Bevölkerungsgruppe der Welt einen wunderschönen Frauentag. Auf dass bald eine Frau Rektorin einer österreichischen Uni wird, mehr als 27,32 % Frauen im Nationalrat sitzen und mehr als eine Handvoll Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen. Es gibt auf vielen Gebieten noch viel zu tun!  Die sprachliche Ebene ist dabei eine ganz fundamentale, weil Sprache immer auch ein Spiegel der Gesellschaft ist und Sprache wiederum einen Einfluss auf das Denken haben kann.

10 Responses to Zum Frauentag: die Unsichtbarkeit von Frauen in der Sprache

  1. Attie sagt:

    Ich glaube, ich bin schon post-gender. Ich musste den Satz drei Mal lesen, bis ich bemerkt habe, was denn da nicht stimmen soll…

  2. Sylvia sagt:

    In einem Text, der von neun Lehrerinnen handelt und einem Lehrer wird üblicherweise von “den Lehrern” gesprochen, was unsinnig ist. Dabei steckt bei dem Wort “Lehrerin” das Wort “Lehrer” schon drin. So sind m.E. Männer doch eher mitgemeint, als umgekehrt Frauen bei der maskulinen Variante, die von “den Lehrern” spricht, auch wenn Frauen dabei sind. Der Gebrauch des generischen Femininums ist somit die korrekte Lösung.

    Fehler in meinem Text? Möglich. Auf der Suche nach richtigen Schreibweisen bin ich auf diese Website gekommen. Vielen Dank für diese informative Website.

  3. Hallo Sylvia,

    ja, exakt so sehe ich das auch – auch wenn uns die männergemachte Linguistik weismachen möchte, dass 99 Frauen + 1 Mann grammatikalisch männlich sind. Die Benachteiligung von Frauen ist somit nicht “nur” ein lexikalisches Phänomen, sondern auch ein grammatikalisches. Wer bei 99 Lehrerinnen und einem Lehrer von “Lehrerinnen” spricht, verstößt gegen die Grammatik – ich mache das besonders gerne, um diese absurde Schieflage aufzuzeigen.

    LG
    Dagmar

  4. Sylvia sagt:

    Hallo Dagmar,

    ich bin hier absolut keine Fachfrau, aber ich spiele auch gerne mit der Sprache und amüsiere mich über konsternierte Reaktionen. “Schau´mal, da drüben, das Ehepaar. Ist es nicht wunderbar, emsigen Gärtnerinnen bei der Arbeit zuzuschauen?” Umgekehrt das Recht zu haben, sich nicht angesprochen zu fühlen, wenn jemand fragt: “Sind Sie Autofahrer?” Brüskiert reagieren doch meist diejenigen, die ohnehin nichts mehr hinterfragen und das Lernen im Leben längst hinter sich gelassen haben. Wie langweilig.

    Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit.

    Beste Grüße
    Sylvia

  5. Liebe Sylvia,

    vielen Dank für Ihren Kommentar! Dazu eine Anekdote: Kürzlich fand in meinem Wohnhaus eine MitbewohnerInnen-Versammlung (ganz sprachlich korrekt) statt. Im Mündlichen verwendeten die Vertreterinnen der Hausverwaltung dann aber immer das generische Maskulinum. Als dann verzweifelt ein “Haussprecher” gesucht wurde, wäre ich durchaus bereit gewesen, diese Funktion zu übernehmen. Da aber ganz offensichtlich dezidiert Männer gesucht wurden, habe ich mich natürlich nicht gemeldet. Im Nachhinein ärgere ich mich darüber, dass ich nicht aufgestanden bin und gefragt habe, warum dieses Angebot nur für Männer gilt. Die Antwort wäre vermutlich gewesen, dass Frauen “eh mitgemeint” sind, aber einen Versuch wäre es wert gewesen.

    Mal sehen, ob ich irgendwann den Mut aufbringe, einen Mann oder mehrere mit der weiblichen Form einer Personenbezeichnung anzusprechen, also: “Ihr zwei seid also Lehrerinnen?” Denn: Um aus diesen maskulinen sprachlichen Strukturen rauszukommen, bedarf es (leider) Mut. Aber steter Tropfen höhlt den Stein!

    Viele schöne Grüße
    Dagmar

  6. Achim sagt:

    Liebe Gästinnen dieser Webseite, fällt Ihnen auf, dass Sie ganz unter sich sind?

  7. Woher weißt du, dass “Attie” eine Frau ist?

  8. Morphea sagt:

    Der Artikel ist zwar schon älter, darum aber nicht richtiger, also kommentiere ich ihn trotzdem.

    „Wenn … das männliche Substantiv tatsächlich auch das weibliche umfassen sollte …, müsste der folgende Satz grammatikalisch korrekt sein: * Jeder Lehrer bringt ihre eigene Kreide mit.“

    Nein, müsste er nicht, selbst wenn das jemand mit Sachverstand ernsthaft behaupten würde, was ich stark bezweifle.

    Dem Deutschen fehlt die Möglichkeit das männliche Geschlecht (bei Genus-Sexus-Kongruenz) per Movierung anzuzeigen, kann das aber in aller Regel für das weibliche Geschlecht per Suffix {in} und ggf. Umlautung: Lehrer, Lehrerin und Arzt, Ärztin. Das soll heißen, es gibt einen praktisch unsichtbaren, aber dennoch wichtigen morphologischen Unterschied, indem die weibliche Bezeichnung aus dem Stamm plus Endung gebildet wird, aber eben nicht aus der männlichen Bezeichnung, denn die wird parallel aus dem Stamm plus Nullmorphem gebildet, was sich freilich meistens identisch anhört und genauso aussieht, aber es gibt einige Abweichungen, an denen es klar werden sollte:

    1. Der heimische suffigierte Morph {er} wird u.a. bei Verbfügungen regelmäßig zur Anzeige eines Handelnden – d.h. Morphem [AGENS] – verwendet, der nicht belebt sein muss: Flaschenöffn{er}, Geschirrspül{er} neben Bauarbeit{er}{Ø} / …{er}{in}, Krankenpfleg{er}{Ø} / …{er}{in}.
    2. Bei Stämmen, die als Verb im Infinitiv – Morphem [INF] – (schriftlich) den Morph {n} statt {en} aufweisen, bspw. ruder{n}, wird sowohl das handelnde Substantiv als auch das Objekt mit [AGENS] = [PATIENS] = {Ø} gebildet (vgl. Arbeit{Ø}, Pfleg{e}, Ruder{Ø}. Um eine Unterscheidung zu gewährleisten, muss hier [MÄNNLICH] ausnahmsweise eine andere Form als {Ø} annehmen, nämlich (verwirrenderweise) {er}: Ruder{Ø}{er}, Ruder{Ø}{in}. [WEIBLICH] bleibt hier beim {in}, aber es gibt auch {e}: Witw{er}, Witw{e}.

    Übrigens sind deswegen die 99 Lehrerinnen nicht erst dann Lehrer, wenn ein männlicher Kollege hinzukommt, sondern schon vorher. Ob man sie als Gruppe von Lehrern oder von Lehrerinnen bezeichnet, ist lediglich eine Frage des Stils, nicht des Sprachsystems, welches beides zulässt.

    Bei sexusspezifischen Partiallexemen fehlt meistens der geschlechtsindefinite Singular, aber der wird auch nicht so oft benötigt: Kauffrau, Kaufmann, Kaufleute. Man beachte hierbei, dass Mann nicht notwendigerweise als Antonym zu Frau, Dame, Weib gebraucht werden muss, sondern auch zu Männin moviert werden kann und dann trotz starker Genussuggestion in obiges Raster fällt, gleiches gilt für Herr, Herrin.

    Dass die prototypische Vorstellung bei Maskulin-Genus einen stärkeren m-Bias aufweist als sonst (d.h. bei Femininum, Neutrum, Utrum, kein Genus), ist nur ein weitläufig verwandtes Phänomen, denn es ist eher ein psychologisches oder (wahrscheinlicher) soziologisches und kaum ein linguistisches.

    Nichts von alledem legitimiert die Verwendung zweier unterschiedlicher Pronominalgenera, wenn die Pronomen in demselben Kongruenzverhältnis zu einem Substantiv stehen.

  9. Achim sagt:

    Bietet der Kommentarreigen kurz vorm nächsten Frauentag doch noch deutlich Erhellendes. Hoffentlich für alle. Vielen Dank!

  10. Sylvia sagt:

    Ich kann die Richtigkeit nicht überprüfen, da ich Deutsch nicht studiert habe.
    Es gibt jedoch – jenseits aller grammatikalischen Regeln – so etwas banales wie Rechtsempfinden, auch die Sprache betreffend.

    Und ein Beispiel. Eine Anleitung zum Bau eines Kernkraftwerkes wird – empirisch betrachtet – in einem die Bildung betreffend ökologisch handelnden Umfeld auch kaum Bedeutung mehr haben.
    Ergo sind doch auch – in einer Form produzierte – grammatikalische Sätze immer in einem Kontext zu sehen.

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