Zwiebelfisch macht sich zum Esel
Dieser Beitrag ist eine Antwort auf Bastian Sicks Zwiebelfisch-Kolumne, die bereits vor einiger Zeit erschien, von der ich aber erst heute erfuhr. Darin nimmt er eine Schweizer Initiative, männerbezogene Begriffe durch neutrale zu ersetzen (etwa Arbeitende anstatt Arbeiter), zum Anlass, um billige Polemik um das so wichtige Thema der Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache zu betreiben. Er bewegt sich auf einem Niveau, auf dem ich normalerweise nicht diskutiere. Da ich tief drinnen aber hoffe, dass der Zwiebelfisch auch anders kann, hier meine Gedanken dazu.
In erster Linie ist zu sagen, dass es um Bastian Sicks Glaubwürdigkeit eher schlecht bestellt ist. Er, der sich seit Jahr und Tag ausgiebig mit Sprache beschäftigt, stellt allen Ernstes den Zusammenhang zwischen Sprache und Gesellschaft infrage: „Ich bin mir nicht sicher, ob man die Sprache verändern muss, wenn man die Gesellschaft verändern will.” Glaubt er, dass Sprache im luftleeren Raum existiert?
Es reicht, die beim Romanistik-Studium vorgesehenen Lehrveranstaltungen zur Einführung in die Linguistik zu besuchen, um zu erfahren, dass allgemeiner Konsens darüber besteht, dass es klare Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Sprache gibt. Sprache wird schließlich nicht im Labor gemacht. Und: Gleichberechtigung hat ganz klar auch eine sprachliche Seite.
Schon mal darüber nachgedacht, warum Wörter wie Neger und Eskimo heute nicht mehr verwendet werden? Und Fräulein? Warum etwas herrlich ist und nicht fraulich? Warum 99 Ärztinnen und 1 Arzt zusammen 100 Ärzte ergeben? Dass Frauen Lehrer genannt werden, aber wenn Männer Hebammen werden, sofort ein neuer Begriff, nämlich Geburtshelfer, gefunden wird? Dass Frauen eh immer ganz lieb in den männlichen Formen mitgemeint sind? Alles Zufall? Oder ist es vielleicht doch so, dass Sprache die Machtverhältnisse abbildet?
Bastian Sick echauffiert sich: Wörter, die das erkennbare Wort „Mann” enthalten, stehen auf der Berner Abschussliste ganz oben.
Er nimmt das zum Anlass für alberne Extrempositionen auf Stammtischniveau: Werden wir in Bälde bemenschte Raumfahrt sagen müssen? In diesem Zusammenhang mokiert er sich über Versuche, Komposita mit Mann zu feminisieren oder zu neutralisieren. Er hält wohl tatsächlich Mann für ein völlig neutrales Wort, das problemlos auch eine Frau bezeichnen kann. Ob er das umgekehrt auch so sieht, er sich also unter Marktfrau auch einen Mann vorstellt? Ganz bestimmt nicht. Mit seiner Argumentation setzt er Menschlichkeit mit Männlichkeit gleich und befindet sich damit in hervorragender Gesellschaft zahlreicher Ewiggestriger, Motto: Alle Menschen werden Brüder.
Es ist offensichtlich, dass die deutsche, wie auch viele anderen Sprachen, absolut sexistisch ist – dass Bastian Sick hinter diese Feststellung ein Fragezeichen setzt, spricht Bände. Vielleicht sollte er einen Blick in die zahlreichen Studien werfen, die zeigen, dass das so genannte generische Maskulinum die befragten Menschen ausschließlich an Männer denken lässt. Mitgemeint Pustekuchen. Wer denkt bitte bei folgendem Satz an Frauen?
Jeder Patient soll sich seine Behandlung selbst aussuchen.
Die Asymmetrie der deutschen Sprache ist nicht zu übersehen. Während es völlig normal ist, eine Frau als Übersetzer zu bezeichnen, würde sich ein Mann niemals als Krankenschwester bezeichnen lassen. Hier offenbart sich die Schieflage: Schwester ist bestimmt auch für Herrn Sick eindeutig weiblich, während er Mann als „neutral” deklarieren möchte.
Bitte sehr, wenn angeblich alles so schön neutral ist und nichts auf ein Geschlecht hinweist, dürfte sich Herr Sick an folgender Formulierung nicht stören:
Bastian Sick ist eine Journalistin beim „Spiegel Online”. Ihre Zwiebelfisch-Kolumnen werden sehr gerne gelesen.
Von mir allerdings nicht mehr. Erstens, weil Bastian Sick sich seit einiger Zeit auf lustige Sammlungen von Übersetzungsfehlern beschränkt. Und zweitens, weil ihm – siehe oben – fundamentales Wissen über Sprache abzugehen scheint. Sprache kommt nicht aus dem Vakuum, sondern ist eng mit Gesellschaft und Machtverhältnissen verbunden. Wie es die bekannte Linguistin Luise Pusch formuliert hat: Männer haben diese unsere Sprache gemacht, und sie haben sie für sich gemacht.
Dankeschön, dankeschön, dankeschön…
Bastian Sick als Esel zu bezeichnen ist noch milde ausgedrückt. Sprache verändert sich; der Duden nimmt teilweise der Sprache die Möglichkeit zur Entwicklung. Sick ist der Leher, den man noch nie leiden konnte, der sich von Herzen freut, wenn er “Falsch!” rufen kann. Veränderung und Kreativität sind ihm fremd. Natürlich beinhaltet dies auch revolutionäre Ideen wie Gleichberechtigung – wie könnte es anders sein.
Ich schreibe nicht nur, sondern gebe mir auch Mühe, was Rechtschreibung und Ausdruck betrifft. Sprache ist jedoch mehr als das. Sprache hat eine Aussage, und natürlich bildet sie die Gesellschaft ab. Natürlich geht es um Macht.
“A shprakh iz a dialekt mit an armey un flot.” (nach Weinreich)
Wenn Schiller sagte “Alle Menschen werden Brüder”, so war das revolutionär, denn er negierte Klassen- und Gesellschaftsunterschiede. Auf Geschlechterunterschiede zu pfeifen, das hat er für uns übriggelassen.
Deshalb: Schiller: <3
Bastian Sick:
„… generische Maskulinum die befragten Menschen ausschließlich an Männer denken lässt“
Es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen „ausschließlich“ und „eher“ (oder „prototypisch”) und letzteres ist, was so ziemlich alle Studien besagen. Eine Konsequenz ist bspw., dass der soziologische Anteil viel, viel wichtiger ist als der linguistische.
„Schwester ist bestimmt auch für Herrn Sick eindeutig weiblich, während er Mann als „neutral” deklarieren möchte.“
Wenn es im Deutschen eine Möglichkeit gäbe, (Kranken-)Schwester männlich zu movieren, dann wäre es weder für Sick noch für mich (zumindest synchron) eindeutig weiblich. Gibt es aber nicht. Umgekehrt geht das für Mann sehr wohl: Männin.
Der Unterschied ist also kategorial: zwischen lexikalischer und morphologischer Sexusunterscheidung. Nimmt man statt Journalist ein inhärent weibliches Wort, funktioniert der Satz problemlos:
Bastian Sick ist eine Textschlampe bei SpOn.
Da Pronomen generell eher und heute mehr als früher dem Sexus als dem Genus gehorchen, ist der Anschlusssatz zwar möglich, aber stilistisch antiquiert.
Achso, außerdem sollte sich das Possessivpronomen im Normalfall auf das Subjekt (d.h. den Kopf der entsprechenden NP) des vorherigen Satzes beziehen. Das wäre „Bastian Sick“ und nicht „Textschlampe“ oder „Journalistin“.
‘Ach so’ zusammen, Morphea, kesse Lippe?
Herr Sick fehlt nicht allein politisch, Herr Sick fehlt häufiger noch auch inhaltlich – ein Wald-und-Wiesen-Sprachexperte, wie er, nun, im Buche steht.
Diese Lektüre, sie ist so amüsant wie erhellend:
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André Meinunger
Sick of Sick?
Kulturverlag Kadmos
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