Austriazismen für Neulinge
Vor wenigen Tagen hielt ich mit meiner Zwillingsschwester einen Vortrag bei der Jahreskonferenz des amerikanischen Übersetzungsverbandes ATA (American Translators Association). Unsere Präsentation stand ganz im Zeichen der in Österreich üblichen Varietät des Deutschen und nannte sich „Austriazismen für Neulinge″. Im Doppelpack brachten wir unserem Publikum Kuriositäten des österreichischen Sprachgebrauchs näher und hatten dabei eine große Gaudi, pardon, ziemlich viel Spaß. Den Rückmeldungen zufolge hat es auch den Zuhörerinnen und Zuhörern eine ganze Menge Spaß gemacht. Genau genommen gingen wir weit über Austriazismen hinaus, da sich dieser Begriff ausschließlich auf die Lexik bezieht. Wir behandelten auch Aspekte der Aussprache und einige wenige Unterschiede bei der Rechtschreibung (Geschoss vs. Geschoß), die Verwendung von Präpositionen (Urlaub auf dem Bauernhof in Deutschland und Urlaub am Bauernhof in Österreich, siehe auch hier), Wortbildung (Stichwort: Fugenzeichen) und Grammatik: In Österreich wird das Perfekt bei Verben der Körperhaltung immer mit sein gebildet: Ich bin gesessen. Ich bin gehockt. Ich bin gelegen.
Besonders gut kam die österreichische Tendenz zur Verniedlichung an: Häferl, Stockerl, Leiberl … und überhaupt: Darf”s ein bisserl mehr sein? Für großes Gelächter sorgte auch der Werbeslogan der Stadt Wien und deren Hundstrümmerl-Initiative: Nimm ein Sackerl für mein Gackerl. Der Slogan hat bei seiner Einführung die Gemüter in Wien ziemlich erhitzt; bei der ATA-Konferenz im sonnigen San Diego war’s ein echter Schenkelklopfer.
Da der Vortrag so gut angekommen ist, überlegen wir, bei der kommenden Konferenz in San Antonio, Texas, über „Austriazismen für Fortgeschrittene” zu plaudern, also zu erzählen. Da werden wir unser Publikum mit besonders kniffligen Austriazismen quälen, etwa: Der Kolporteur ist seit gestern abgängig.
Weiß jemand von euch ohne nachzusehen, was Kolporteur und abgängig bedeutet? Wer südlich des legendären Weißwurstäquators wohnt, möge bitte nicht mitmachen, denn dann wäre es nur halb so lustig.
Hm, vielleicht: “Der Verbündete ist seit gestern verschwunden.”???
Hallo Elke,
zur Hälfte richtig, denn “verschwunden” ist korrekt.
LG
Dagmar
entstamme dem wilden alpenvolk ösistans; habe mich gefreut, dass die sprachlichen verniedlichungstendenzen insbesondere des wienerischen sogar auf internationaler ebene auf belustigung stoßen (eingeborenen sticht die drollige ausdrucksweise leider nicht mehr ins gehör, mich am hessischen oder balinarischen ergötzen zu können, schafft jedoch gerechtigkeit).
die tipps der deutsch-expertin wurden von mir heute aus dem netz geangelt, als ich google befragte, ob es heißen muss “was macht ihr beide da?” oder “was macht ihr beideN da?” (konnte in erfahrung bringen, dass beides richtig sei).
freundliche grüße aus wien von
eleonora
Dieser Beitrag gefällt mir ganz besonders. Die “Gaudi” ist übrigens auch fester Bestandteil des Schwäbischen, oft benutzt mit einer Verstärkung “a Heidagaudi, Saugaudi” etc.
Kolporteur = Zeitungsverkäufer – der Begriff stammt wohl aus dem französischen “colporteur”, bedeutet in FR Hausierer, Klinkenputzer. Im württembergischen Schwäbischen gibt es auch eine Verniedlichung der Nomen durch das Anhängen von “le”, oft verbunden mit einer Vokal-Wandlung: Stock = Stöckle, Hafen = Häfele.
Laura