Heute schon auf die Straße gespuckt?

Ja, dieser Artikel ist einigermaßen provokant. Wer sich also von Gender-Themen provoziert fühlt, sich dann unendlich aufregt und Magengeschwüre züchtet, möge an dieser Stelle die Lektüre unterbrechen.

Der heutige Artikel hat nicht unmittelbar mit deutscher Rechtschreibung zu tun … aber bekanntlich hängen Leben, Sprache und Wahrnehmung der Wirklichkeit ja eng zusammen.

Vor kurzem war ich bei einem Vortrag über die Geschichte der Frauenbewegung in Österreich. Am Rande des Vortrags gab uns die Vortragende einen guten Tipp, den sie wiederum von einer prominenten Person hatte, deren Namen ich vergessen habe. Ich habe aber in Erinnerung, dass es sich um einen Mann handelte. Auf jeden Fall lautete der Tipp folgendermaßen: Verhalten Sie sich jeden Tag einmal so wie das andere Geschlecht. Will heißen, dass ich als Frau mich einmal am Tag wie ein Mann verhalte … oder zumindest so, wie ich finde, dass sich Männer typischerweise verhalten. Dass hier die Klischeekiste nicht zu kurz kommt und es sich darüber hinaus um rein persönliche Einschätzungen handeln kann, liegt auf der Hand.

Zu überwiegend männlichen Verhaltensweisen fällt mir hauptsächlich wenig Schmeichelhaftes ein. Das liegt vielleicht auch daran, dass Positives nicht so stark wahrgenommen wird wie Negatives. Auf jeden Fall hier meine Vorschläge, wie sich eine Frau einmal am Tag „männlich” verhalten könnte:

  • Genüsslich im öffentlichen Raum auf die Straße spucken; gerne auch direkt vor die Füße einer anderen Person.
  • In der U-Bahn, Straßenbahn oder Bus mindestens drei Sitzplätze okkupieren und möglichst viel Raum einnehmen.
  • Für besonders Mutige: Sich in aller Öffentlichkeit genüsslich zwischen den Beinen kratzen und einer wildfremden Person dabei direkt in die Augen schauen.
  • In einem Gespräch das Gegenüber unterbrechen, noch ehe dieses einen Satz zu Ende gesprochen hat. Alternativ: Ein gemütliches Gespräch mit vertrauten Menschen nutzen, um zu dozieren und den anderen die Welt zu erklären.
  • Beim Bestellen im Restaurant weder „bitte” noch „danke” sagen, sondern schlicht: „Ein Bier!”

Mir persönlich fällt besonders Letzteres sehr schwer. Deshalb bietet es sich an, diese Verhaltensweisen an Fremden zu testen, die nicht wissen, welches Verhalten wir sonst an den Tag legen. Ich halte es für äußerst unhöflich, in einem Restaurant oder einer Bar einfach „ein Bier!” zu rufen. Als Frau tendiere ich dazu, mich erst einmal dafür zu entschuldigen, dass ich der Kellnerin (seltener: dem Kellner) Arbeit bereite, dann frage ich im Konjunktiv, ob ich bitte ein Bier haben könnte. Das Danke liefere ich natürlich schon bei der Bestellung mit. Ich frage gelegentlich Männer, ob sie es nicht unhöflich finden, schlicht nach einem Bier zu verlangen. Die Antwort ist immer: nein, wieso?

Ich habe es dann auch einmal versucht und mit Erstaunen festgestellt, dass ich nicht weniger freundlich behandelt wurde, wenn ich ohne ausgewiesene Freundlichkeit bestelle (in meinem Fall ein Glas Wein). Auch in der Bäckerei zucke ich immer zusammen, wenn Männer in wohl österreichischer Formulierung sagen: „Ich bekomme ein Kilo Brot!” Ich warte dann immer darauf, dass die Verkäuferin sagt: „Ich bekomme ein Bitte!”, aber nichts dergleichen passiert. Das Brot wandert mir nichts, dir nichts über den Ladentisch.

So, genug meinerseits. Wer will, berichtet über den Ausgang des eigenen Experiments, erzählt, wie es sich angefühlt hat und ob bzw. wie das Umfeld reagiert hat. Welche Verhaltensweisen fallen euch ein, die ihr kopieren könntet? Bei den Kommentaren ist wie immer Sachlichkeit oberstes Gebot.

Ich wünsche einen schönen internationalen Frauentag! Das Foto zeigt mich mit der österreichischen Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek bei einer Veranstaltung in Wien.

19 Responses to Heute schon auf die Straße gespuckt?

  1. stephensken sagt:

    “In der U-Bahn, Straßenbahn oder Bus mindestens drei Sitzplätze okkupieren …”
    Heißt es in Österreich etwa “in der Bus”? Also ich würde definitiv sagen: “In der U-Bahn, Straßenbahn oder dem Bus mindestens drei Sitzplätze okkupieren …”

  2. Am besten wäre wohl folgende Formulierung: “in U-Bahn, Straßenbahn oder Bus”.

  3. Peter sagt:

    Ich würde den Artikel wiederholen: “In der U-Bahn, der Straßenbahn oder dem Bus mindestens drei Sitzplätze okkupieren”

  4. Peter sagt:

    Mir fehlt hier der Hinweis, warum das ein guter Tipp ist. Nur weil es unterhaltsam ist?

  5. Klarer Fall: Um zu sehen, wie die Umwelt reagiert, wenn eine Frau/ein Mann ein Verhalten an den Tag legt, das überwiegend dem anderen Geschlecht zugeschrieben wird. Und um zu erleben, wie es sich anfühlt, Rollenmuster zu durchbrechen.

  6. Lisa sagt:

    Hm, ich kann mich in die Problematik nicht hineinversetzten. Ich bin unter Burschen aufgewachsen, war in der Berufschule mit einem zweiten Mädel und 366 Burschen und kann mit “typischem” weiblichen Verhalten nichts anfangen. Und ja, ich spucke täglich mindestens einmal auf die Straße.

  7. Mirko sagt:

    Die aufgeführten, typisch männlichen Verhaltensweisen sind mir persönlich alle Fremd. Ich sage immer “bitte” oder “danke”, wenn ich im Restaurant etwas bestelle oder beim Bäcker ein Brot kaufe. Zählt das schon als geglücktes Experiment?
    Ich bin da ganz bei Lisa, mir sind fast alle “typisch männlichen” Verhaltensweisen ein Graus. Die Knigge eines Gentleman zu beherrschen, ist auch nicht mehr so verbreitet, wie ich das gerne hätte. Aber es geht eher um negative Verhaltensweisen, zählt daher vermutlich nicht.
    Was ist denn typisch weiblich?

  8. Ja, das würde mich interessieren: Was empfindest du als Mann als “typisch weibliches” Verhalten (wobei das natürlich nur subjektiv sein kann)?

  9. Sara sagt:

    Interessant, dass für für dich eine Bestellung ohne ein “bitte” typisch männlich ist. Für mich als Schweizerin ist das eher typisch (bundesrepublik-)deutsch.

  10. ultraistgut sagt:

    Ein äußerst sympathisches und von Rücksicht geprägtes Verhalten, das auch sehr beliebt bei sowohl unseren Jungen, als auch bei den Alten ist: Türen auf gar keinen Fall für Nachkommende offenhalten, z.B. in Geschäften, und wenn man Glück hat, schnell ist und dazu sehr aufmerksam , kommt man ohne Krankenhausaufenthalt und/oder Gesichtsverletzungen durch diese Pforten.

    Für mich eine selbstverständliche Geste – der Blick zurück – und nicht nach mir die Sintflut !!

    Ach ja !! Das gäbe es sicherlich noch einige Beispiele !! ;)

  11. stephensken sagt:

    Sara, das ist ja wohl Blödsinn. Das hat doch mit deutsch oder schweizerisch mal gar nichts zu tun. Ebensowenig wie mit männlich oder weiblich. Ich denke, das ist allein abhängig von dem Millieu, aus dem der/die Betreffende kommt bzw. in dem er/sie sich bewegt. Es gibt halt solche und solche.

  12. @stephensken: Es ist absolut nicht in Ordnung, die Meinung einer anderen Person als “Blödsinn” abzutun und damit abzuwerten.

  13. Mirko sagt:

    Typisch weiblich ist für mich z.B., dass Frauen zuviel Nachdenken bzw. sich zuviel Gedanken über alles Mögliche machen. Wir Männer denken meistens erst nach, wenn es ein echtes Problem zu lösen gilt. Beides hat aber seine Vor- und Nachteile. Die Umsetzung dieser Sache im Rahmen eines Rollentausches stelle ich mir ohne Skript aber als nahezu unmöglich vor. Anders zu Handeln ist eine Sache, anders zu Denken eine Herausforderung.
    Dinge wie “Man kann nicht genug Schuhe haben” u.ä. sind übrigens für mich Klischees und keine Verhaltensweisen.

  14. Alexandria sagt:

    Es ist aber auch nicht in Ordnung zu sagen, dass sei typisch deutsch. Ist doch klar, dass wir Deutschen uns angegriffen fühlen. Es gibt Menschen mit guten Manieren, die wissen, was sich gehört, und dann gibt es noch diejenigen, denen das anständige Verhalten nicht beigebracht wurde. Das hat etwas mit der Erziehung zu tun und nicht mit der Nationalität.

  15. Sara sagt:

    Tut mir leid, es war nicht als Angriff gemeint. Ich hab eben noch mit meinem Freund, der Deutscher ist, darüber gesprochen und hab gemerkt, dass es noch komplizierter ist, als ich dachte.

    In der Schweiz ist es üblich, “Ich hätte gerne” oder zumindest “ein Bier, bitte” zu sagen. Viele Deutsche in der Schweiz werden von uns als unhöflich abgestempelt, weil sie “ich bekomme/krieg ein Bier” sagen. Seit mir aber ein Deutscher erklärt hat, dass das in Deutschland üblich ist, war es für mich einfach normal “aus deutschem Munde” und daher auch meine Bemerkung hier.

    Mein Freund meinte jetzt aber, “ich bekomme ein Bier” sei normal, “ich krieg ein Bier” aber unhöflich. Seht ihr anderen Deutschen das auch so?

  16. Norbert sagt:

    “Verhalten Sie sich jeden Tag einmal so wie das andere Geschlecht.” -Aber bitte auch den ganzen Tag lang durchhalten. Und nicht schummeln! (-:

    Ich würde doch erkennbare Trends und Tendenzen von typischen Verhaltensmustern unterscheiden. Mir fällt als eifrigem Leser von Online-Tageszeitungen auf, dass zu wirtschaftlichen und politischen Themen Frauen kaum Kommentare einstellen.
    Ebenso gibt es sehr wenige weibliche Bewerber für die sogenannten Männerberufe, wie z.B. Automechaniker.
    An meinem Mach-mal-auf-Frau-Tag würde ich mich dann folglich nicht(!) als Sekretärin bewerben. (-:
    Als leichte Tendenz finde ich bei den Männern eher keinen Sinn für Romantik, während die Damen dazu neigen, Romantik mit Kitsch zu verwechseln, den sie im Film oder irgendwelchen Heftchen finden.
    An meinem Wechsel-Spiel-Tag würde ich dann einen Arztroman lesen, was mir in einer Welt der an diesem Tag unromatischen Damen (sofern sie alle mitspielen), vielleicht sogar ganz recht wäre.
    Ach ja: Meine Freundin müsste an diesem Tag kochen.
    Was uns gemeinsam bleibt: Auf die Straße spucken wir alle nicht. Die Tür halten wir auch für andere auf, “bitte” und “danke” bleiben im aktiven Wortschatz enthalten.

  17. Nathalia sagt:

    Ich musste in meiner Schulzeit ein Praktikum in der Fertigung bei BMW in München machen. Auf dem Hinweg ist mir ein Mann, der sehr breitbeinig in der Bahn saß und mich anstarrte, aufgefallen. Auch die anderen “typischen” Verhaltensweisen wären mir noch extrem aufgefallen.
    Nach drei Wochen, umgeben von besonders ” männlichen” Männern, sind meine Kolleginnen und ich ähnlich breitbeinig dagesessen, haben Sätze möglichst kurz gehalten und auch irgendwie weniger nachgedacht. Gespuckt habe ich dennoch nicht, weil ich es nicht sehr gut kann.
    Die negativen Reaktionen kamen von den zuhause verbliebenen Klassenkameraden und Eltern, denen die Veränderung natürlich extrem auffiel.

  18. Alexandria sagt:

    Hey Sara, es muss dir nicht leidtun. Ich hätte mich ja auch etwas freundlicher ausdrücken können.

    Schöne Grüße in die Schweiz!

  19. Walter sagt:

    Eigentlich antworte ich grundsätzlich nicht auf Artikel mit emanzipatorischem Inhalt, weil das Problem meist in der unterschiedlichen Wahrnehmung wurzelt, was durch Worte und Erklärungen nicht geändert, ja sogar oft noch verstärkt wird. Umso interessanter finde ich den Ansatz, sich in das jeweilige Gegenüber hineinzuversetzen. Allerdings meine ich, dass hier nicht die als negativ wahrgenommene Verhaltensweise nach dem Motto “Wie du mir, so ich dir” imitiert, sondern die eigene Wahrnehmung auf den Prüfstand gestellt werden sollte. Sehe ich eine Person, deren Verhalten mir als besonders männlich/weiblich auffällt, so tausche ich sie in Gedanken gegen eine andere (gleich- oder gegengeschlechtlich) aus und überlege, wie diese in der gegebenen Situation reagiert hätte. Oft komme ich dann zum Schluss, dass das Verhalten weniger mit dem Geschlecht als einzig nur mit der Person und ihrem Charakter bzw. ihrem Benehmen zu tun hat. Die Gefahr der selektiven Wahrnehmung (das Ich-hab´s-schon-immer-gewusst-Syndrom) ist halt gerade bei dieser Themenstellung sehr groß.
    Übrigens: Wenn sich jemand *nicht* klischee-artig benimmt, sondern bitte und danke sagt, die Tür offen hält und so weiter (die Beispiele sind schon zahlreich genannt), dann empfiehlt es sich, das sofort positiv zu quittieren. Das muss nicht durch Worte geschehen, das kann auch ein aufmerksames Lächeln sein, ein Augenkontakt oder eine entsprechende Geste. Das wirkt wie ein Leckerli beim Hund und so trainiert man Verhalten. Das funktioniert auch beim Menschen, und zwar bei beiderlei Geschlecht.

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